Adipositas/Übergewicht
Gesundheitserziehung für adipöse Patienten und Patienten mit Stoffwechselerkrankungen

Obwohl das Problem Übergewicht bei Menschen mit geistiger Behinderung nicht neu ist, stellt es die Fachwelt offensichtlich vor eine enorme Herausforderung. Ganz spezielle Therapieansätze sind rar.

Das Gesundheitserziehungsprogramm der Ruhrtalklinik bietet übergewichtigen und adipösen Menschen mit geistiger Behinderung die Möglichkeit einer stationären, ärztlich kontrollierten Gewichtsreduktion mit Adaption ins heimische Umfeld.

Grundsätzlich ist die Adipositas von Krankheitswert eine Rehabilitationsindikation. Dennoch erkennen Kostenträger dies mitunter nicht an und lehnen Anträge ab. Um eine Ablehnung unwahrscheinlicher zu machen, raten wir, alle behandlungsrelevanten Nebendiagnosen mit anzugeben. Sofern es aufgrund des Übergewichts schon zu Funktionseinschränkungen (Hüfte, Knie, etc.) gekommen ist, sollte auch hier der entsprechende Haus- und/oder Facharzt auf diese Punkte unmittelbar eingehen. Auch die internistische Diagnostik sollte aufgelistet werden.

Zum Problem „Einsicht in die Krankheit“ – häufig wird bezweifelt, dass ein geistig behinderter Mitmensch mit Erfolg ein entsprechendes Gesundheitserziehungsprogramm absolvieren kann – verweisen wir auf die hier dokumentierten Erfolge. Über 30 Jahre hinweg können wir nachweisen, dass trotz bestehender intellektueller Leistungsminderung sehr wohl ein Gesundheitserziehungsprogramm, didaktisch reduziert und im stationären Rahmen, erfolgreich und nachhaltig ist!

Die Grundannahme ist die, dass die meisten Patienten in Wohnheimen bzw. betreuten Wohngruppen leben und/oder in Werkstätten für behinderte Menschen tätig sind. Sie erhalten folglich eine Gemeinschaftsverpflegung und haben insbesondere in Bezug auf das Mittagessen keinen persönlichen Einfluss auf die Gestaltung dieser Mahlzeit. Daraus folgernd besteht das Hauptlernziel des verhaltenstherapeutischen Esstrainings und der theoretischen Ernährungslehre darin, das zugrunde liegende Verhaltensmuster zu erkennen, und die Mahlzeiten zu verändern, auf die auch Einfluss genommen werden kann.

Im Wesentlichen umfasst das Programm der Ruhrtalklinik vier Bestandteile:

  • Verhaltenstherapeutisches Esstraining durch Schulungen am Buffet
  • Ernährungslehre
  • Kochgruppen
  • Gemeinschaftliches Wiegen

 

1. Verhaltenstherapeutisches Esstraining
Obwohl sich die Speisen im Gesundheitserziehungsprogramm nicht wesentlich von denen der „Normalköstler“ unterscheiden, wurden im Haus zwei Speiseräume installiert: der eine für unsere „Normalköstler“ und der andere für unsere adipösen Patienten. Hier gelten für alle die gleichen Regeln, was den konfliktbehafteten Verzicht deutlich erleichtert. Außerdem wird so das Gemeinschaftsgefühl unter den „Abnehmern“ gestärkt, was der Motivation Nachschub verleiht.

JEDE Mahlzeit stellt auch gleichzeitig eine verhaltenstherapeutische Schulung dar, die von Mitarbeitern der Gesundheitserziehung begleitet und angeleitet werden. Durch die tägliche Wiederholung über mehrere Wochen kann so eine nachhaltige Veränderung pathologischer Essverhaltensweisen und Essgewohnheiten trainiert werden.

Bei Haupt- und Abendmahlzeiten haben die Patienten stets die Wahl sich zwischen dem Tagesgericht oder dem von ihnen selbst zusammengestellten Salatteller zu entscheiden.

Das Kennzeichnen der Lebensmittel am Buffet mit den „roten und grünen Männchen“, die aus der Ernährungslehre bekannt sind, erleichtert es den Patienten, eine einfache Einteilung vorzunehmen:

= kalorienarm und/oder nährstoffreich
= kalorienreich und/oder nährstoffarm
2. Die Ernährungslehre
In der Ruhrtalklinik werden Patienten mit sehr unterschiedlichen intellektuellen oder auch stoffwechselspezifischen Bedürfnissen betreut. Um diesem Umstand möglichst optimal zu begegnen, werden die Patienten nach dem Aufnahmegespräch in der Gesundheitserziehung unterschiedlichen Ernährungslehregruppen zugeteilt:

  • Ernährungslehre für Patienten, die allein in eigener Wohnung leben
  • Ernährungslehre für Patienten in Wohnheimen und betreuten Gruppen
  • Ernährungslehre für Patienten mit Diabetes Typ 2
  • Einzelberatung bei sehr spezifischen Problemen

In Abstimmung mit den übrigen Therapeuten besuchen die Patienten die Ernährungslehregruppe mehrmals wöchentlich.

Im Rahmen des Programms wird auf die große Bedeutung des Vieltrinkens hingewiesen. Die Ruhrtalklinik verfügt dafür über zwei eigene Wasserquellen, aus denen zu jeder Hauptmahlzeit Wasser, mit oder auch ohne Kohlensäure, angeboten wird und die jederzeit für jeden zugänglich sind.

3. Kochgruppen
Unter der besonderen Berücksichtigung des individuellen Vorwissens und entsprechend der Fähigkeiten und Fertigkeiten der Patienten wird in den Kochgruppen die Herstellung eigener kleiner kalorienarmer, gesunder Mahlzeiten vermittelt, die mit geringem Aufwand selbst zubereitet werden können.
4. Gemeinsames Wiegen
Zweimal pro Woche dient das gemeinsame Wiegen neben der Dokumentation der Gewichtsentwicklung auch der gegenseitigen Motivation. Jeder Erfolg wird gemeinschaftlich geteilt und anerkannt. Die Ergebnisse werden in einer Gewichtskurve dokumentiert, die vom Patienten in seiner persönlichen Ernährungslehremappe stets einsehbar ist.
Unmittelbar vor der Entlassung im Rahmen der Abschlussbesprechung wird dem Patienten als Ergebnis seines Gesundheitserziehungsprogramms eine Urkunde als Anerkennung für sein Engagement und seinen Erfolg ausgehändigt.

Diese Abschlussveranstaltung dient natürlich auch dazu, die neuen Gruppenmitglieder zu motivieren. Die persönliche Ernährungslehremappe mit der Gewichtskurve und den Inhalten aus den Schulungen werden dem Patienten als auch seinem Sozialisationsagenten zur Verfügung gestellt. So kann auch nach Beendigung der stationären Heilbehandlungsmaßnahme darauf zurückgegriffen werden.

Die vielen Zuschriften, die uns nach Abschluss der Reha-Aufenthalte zugehen, dokumentieren, dass eine hohe Adaption der hier erlernten Verhaltensweisen in das heimische Umfeld erfolgt.